chris-XX
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« Love and peace »
Ducati 996R - commited to the core
Valencia, Spanien, Circuit Comunitat Valencia Ricardo Tormo, zwei Tage vor dem Startschuss zur Superbike-WM 2001. Donnergrollen erfüllt die Frühlingsluft. Eine zierliche, rote Maschine stürmt über die Zielgerade, der Fahrer tief hinter der Ver- schalung geduckt. Das Design der 996 R ist auch sieben Jahre nach der Vorstellung der Ducati 916 trotz minimaler Retuschen noch immer einzigartig, aggressiv, fast schon klassisch schön. Nun scheint die Luft zu beben, das dumpfe Brummen wird zum heiseren Röhren, ein Donnerschlag, als die italienische Diva eng an der Boxen- mauer vorbeiwischt.
Meine Stoppuhr weist gut 1:45 min aus. Der Herr Kollege im Sat- tel, der sich wenige Meter weiter aufrichtet, brutal verzögert und trotz leicht schwänz- elndem Ducati-Heck unter hörbaren Zwi- schengasstößen in die erste Linkskurve der Strecke einbiegt, ist nicht ganz unbegabt. Trotz Serienreifen (Michelin Pilot Sport) hat er den Kurs nur rund zehn Sekunden langsamer umrundet, als die Top-Stars dies in der Superbike-WM tun.
Respekt! Was mich bei der ersten Kontaktaufnahme freut: Beim Kennenlernen der mir unbekannten Strecke kann ich im vierten, fünften oder sechsten Gang fahren - immer liefert der vibrationsarm laufende Motor genügend Schub, selbst, wenn die Drehzahl unter die 3000/min-Marke fällt. Sehr alltagsfreund- lich, dieses Basisgerät für die Superbike-WM. Und noch etwas fällt auf: Das Fahr- werk mit den hypersensibel ansprechen- den , tpaumhafte Reserven bietenden Öh- lins-Federungskomponenten flößt Ver- trauen ein. Die Ducati liegt selbst bei Top-Speed am Ende der Zielgerade, wo gegen 260 km/h auf dem Tacho abzulesen sind, unbeirrbar stabil, als würde sich das Motorrad am Asphalt festsaugen.
>> Vertrauenswürdig
Meine Rundenzeiten fallen langsam, der Spaß nimmt schnell zu. Sehr sportliche, aber nicht unkommode Sitzposition, jede Menge Platz zum Turnen, perfekter Knie- schluss am schmalen Tank, glasklar ab- lesbare Instrumente und einstellbare Hebel, die exakt dort platziert sind, wo sie hinge- hören. Nur die Kupplungs- betätigung fordert noch immer einen starken Arm. Ingenieur Andrea Forni: "Wir wollten unbedingt an der sehr kompakten, leichten Trockenkupplung festhalten. Die kleine Kupplung bedingt höhere Handkräfte. Eine servo- unterstützte Kupplung wäre ideal, ist aber leider zu schwer." Aha, so ist das also. Na ja, Rennfahrer, und nur für die wurde diese Ducati entwickelt, sind eben besser trainiert als Biker Szene Redakteure.
>> Die Bremsen: Ein Meilenstein
Die neuen Brembo-Stopper mit vier Einzelbelägen pro Vierkolbenzange und einem stabilsierenden Mittelsteg zwischen den Zangenhälften sind eines der Highlights der neuen Ducati 996 R. Glasklarer Druckpunkt, keinerlei Fading, brachiale Wirkung bei deutlich reduzierter Handkraft, erstaunlicher Erstbiss schon beim sanften Anlegen der Beläge. Wunderbar. Forni: "Beläge und Scheiben sind in punkto Material neu aufeinander abgestimmt. Mit Data-Recording können wir belegen, wie effektiv diese Bremse ist. Die alte Bremse brachte in der Start-Ziel-Kurve in Mugello bei 6,26 kg Handkraft und um 12,24 Grad gezogenem Bremshebel 1,19 g (1g = 9,81 m/s2). Die neue Bremse bringt bei 4,75 kg Handkraft und nur 10,8 Grad Hebelbe- wegung schon 1,24 g. Wer noch mehr zieht erlebt den Überschlag nach vorne! Außerdem sind die Bremsen leichter. Das reduziert, in Verbindung mit den noch leichteren Marchsini-Rädern die unge- federte Masse am Vorderrad, was sich positiv auf das Federungs- verhalten und, dank geringerer rotierende Massen, auf"s Handling auswirkt. Die Zeiten, in denen wir Journalisten regelmäßig über zahnlose Brembos an Ducati-Motorrädern lästern konnten, sind offensichtlich vorbei. Übrigens: Aprilia verbaut bei der neuen RSV Mille SP exakt dieselben Stopper! Beim vehementen Bremsen macht sich das stabile Fahrwerk der 996 R nur positiv bemerkbar. Zwar tänzelt die Ducati in der Bremszone mit dem leicht werdenden Heck, aber das Feedback bleibt selbst in der mit viel Schräglage angebremsten, von Bodenwellen verunzierten Linkskurve vor Start-Ziel transparent wie Kristallglas, einzig die Aufstellneigung der montierten Michelin-Gummis stört etwas.
Kehrseite von so viel Richtungsstabilität: Das von allen supersportlichen Ducati-Twins bekannte, etwas träge Handling bei schnellen Richtungswechseln. Nicht, dass die 996 R unhandlich wäre. Aber etwas Nachdruck braucht es schon, um sie von einer Schräglage in die nächste zu werfen. Einmal auf Kurs gebracht, führt sie zielsicher genau dorthin, wohin sie der Pilot haben will. "Running wide", als Drängen zur Kurvenaußenseite oder nervöses Über- steuern beim Einlenken kennen Ducatisti nicht. Je schräger, je schneller, je härter am Kurveneingang umgelegt wird, umso präziser rennt die Bologneserin ums Eck.
Die Ducati-Ingenieure, die am Abend zu Vergleichszwecken (nach Abreise der anderen Journalisten) noch einige Runden auf klebrigen Pirelli-Rennreifen drehten, versicherten, mit diesen Gummis fahre sich die 996 R handlicher. Meiner ergebenen Bitte um vier, fünf Runden auf diesen Pneus wurde leider nicht entsprochen: "Die Sonne geht schon unter. Zu gefährlich."
>> Ein druckvoller Motor
Der neue Testastretta-Motor beweist, was heute im V2-Motorenbau möglich ist. Druckvoller Antritt aus dem Drehzahlkeller, linearer Kraftaufbau, spielerisches Ausdrehen bis 11.500/min, Abbruch der Beschleunigungsorgie durch den bei 11.750/min unerwartet hart einsetzenden Begrenzer.
Gaskontrolle und Ansprechverhalten der neuen, mit nur noch einer Einspritzdüse pro Zylinder ausgestatteten und von einem leistungsfähigeren Motormangement gesteuerten Benzineinspritzung sind vorbildlich, die Lastwechsel- reaktionen halten sich in bekömmlichen Grenzen. Schön, wenn man so viel Schärfe so milde gewürzt präsentiert bekommt. Der Ton, der den beim Test montierten Termignoni-Racing-Endtöpfen entweicht, jagt dem Piloten und den Zuschauern immer wieder wohlige Schauer durchs Mark. So, genau so, muss ein V2-Sportmotor tönen.
Übrigens: Nur mit den Racing-Töpfen liegen Leistungs- und Drehmomentkurve der Testastretta im ganzen Drehzahl- band über den entsprechenden Kurven der 996 SPS. Mit den Serientöpfen bricht die Leistung im mittleren Drehzahl- bereich deutlich ein, fällt gar unter die Marke des SPS-Motors, während die Drehmomentkurve einige unschöne Dellen zeigt. Merke: Dieses Motorrad wurde definitiv für den Einsatz auf abgesperrten Pisten entwickelt. TÜV- konforme Auspuffe passen so wenig dazu wie Blinker , Hauptständer, Sissybar, Lederfransen oder sonstiger Firlefanz.
>> Verschalung: cw-Wert 0,330
Die neue, seitlich geschlossenere Verschalung stammt aus dem Windkanal. Oberteil und Rahmenheck sind aus Kunststoff gegossen, die Seitenteile und der Kiel sind aus Karbon-Laminat herge- stellt. Andrea Forni: "Die Verschalung senkt den cw-Wert von 0,342 auf 0,330 - das gibt 5 km/h mehr Topspeed. Zudem sparen wir so einen Teil der insgesamt sieben Kilogramm, welche die 996 R weniger wiegt als die 996 SPS." Damit die Kunden ihre Ducati noch schöner machen können, gibt es im Ducati-Zubehör übrigens zahlreiche Karbon-Parts für die 996 R, welche teilweise auch an die bisherigen 916- und 996-Modelle passen.

« Update »
Die technischen Feinheiten: Ein komplett neuer Motor.
An dieser Stelle sei Ducati-Testcrew-Leiter Andrea Forni herzlichst gedankt. Der im Sattel wie am Computer sehr erfahrene Italiener verstand es während seiner technischen Präsentation der Ducati 996 R (bei manch anderer Motorrad-Vorstellung eine eher ermüdende Angelegenheit), die Zuhörer zu fesseln, erläuterte die Detailarbeit eines Motorenentwicklers spannend und ungemein sachverständig. "Alles, was wir tun mussten", lächelt Forni "war, den volumetrischen Wirkungsgrad des Motors zu verbessern." Das heisst: Mehr Gasgemisch muss in kürzerer Zeit durch die Brennräume strömen, dort möglichst effizient verbrannt werden.
Forni: "Die Bohrung wurde um 2 auf 100 mm erhöht. Dadurch haben wir mehr Oberfläche, weniger Hitzeverlust, mehr Druck. Wichtig ist auch eine klare Brennraumform. Daher verringerten wir den Ventilwinkel von 40 auf 25 Grad (Einlass: 12°, Auslass 13°), brachten eine kleinere Zündkerze (10 mm statt 12 mm) näher an den Kolbenboden heran, schafften Platz für grössere Ventile (Einlass: 40 mm statt 36 mm, Auslass: 33 mm statt 30 mm), glatteten die Form des Brennraumdaches. Nebeneffekt: Ein- und Auslasskanäle sind kürzer, gerader - die Füllung wird effizienter."
Auch die Desmodromik wurde optimiert. Forni: "Beim alten Motor liegen beide Ventilbetätigungshebel innen, zur Zündkerze hin. Beim neuen Motor ist der öffnende Hebel außen gelagert. Die leichteren Hebel verringern die Seitenkräfte auf die Ventilschäfte. Trotz mehr Ventilhub haben wir keine extremen Steuerzeiten. Dadurch senken wir den HC-Ausstoss." Zwar erfüllt die 996 R die derzeit gültige Euro-1-Norm. "Für die künftigen Normen müssen wir aber Katalysatoren verwenden", weiß Forni. Durch die flache Brennraumform reichen die Ventile sehr eng an den Kolbenboden heran, was eine optimale Ventilsteuerung bedingt. "Die Führungsrollen der Zahnriemen sind größer, die mitlere Rolle wurde zur Verringerung des freien Durchhanges näher zur Mitte platziert.
Für mehr Service-Freundlichkeit haben die jetzt ohne Rollenlager auskommenden, leichteren Nockenwellen eine abnehmbare Abdeckung", erklärt Forni. "Die Kolben sind leichter, die Kolbenringe sind neu. Kombiniert mit den wie bisher 124 mm langen Pleuel haben wir weniger Vibrationen. Der Motor läuft runder, zuverlässiger." Die Ölwanne ist auch neu. Forni: "So stellen wir die Ölversorgung bei starkem Beschleunigen oder Bremsen sicher. Das Öl kann weniger schwappen." Wie bei der 748 R sitzt die einzelne Einspritzdüse nun vor der in kürzeren, 54 mm (alt:50 mm) dicken Ansaugtrichtern sitzenden Drosselklappe. "Das Benzin wird feiner zerstäubt, die Ansaugluft wird abgekühlt, Dichte und Füllung steigen", weiß Forni. Eine neue "Blackbox" für das Motormanagement sorgt für eine exaktere Motorsteuerung. "Wir haben nun einen 32-Bit-20-MHz-Prozessor (alt: 8-Bit-20-MHz) und einen 10-Bit-Analog-Digital- Konverter (alt: 8 Bit). Das Zündmapping hat nun 32 x 20 Punkte (alt: 16 x 16). Die neue Blackbox ist wenig größer als eine Zigarettenschachtel, die alte war gross wie eine Zigarrenkiste."
Gewichtsersparnis am Motor: Gehäuse: 3 kg; Blackbox: 0,7 kg; Drosselklappengehäuse: 0,6 kg. Die neuen Brembo-Scheibenbremsen arbeiten effizienter, sind trotzdem je 450 Gramm leichter. Forni: "Neu sind der Hauptbremszylinder mit einer 15-mm-Radialpumpe (alt: 16 mm). Statt zwei 30-mm- und zwei 34-mm-Kolben mit zwei Belägen sind es nun vier 34-mm-Kolben mit vier Belägen. Dadurch entstand Platz für einen stabilisierenden Zwischensteg an der Zange." Die Scheiben sind leichter (Dicke: 4,5 statt 5 mm, Brems- ringbreite 34 statt 36 mm, 9 statt 10 Floater-Ösen), der effektive Radius der Scheiben stieg von 141,5 auf 143 mm. Forni: "Bei 8,0 kg Handkraft haben wir nun dieselbe Bremswirkung wie früher bei 10,5 kg Handkraft."
Quelle: www.bikerszene.de 05/01 von Jörg Wissmann
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FAZIT: Ich mag scharfe Sachen - vor allem, wenn sie leicht bekömmlich sind: Ducati all"arrabiata, per favore. 
Herzlichen Gruss chris-XX
PS. ... ein Ultimatum ist in der Diplomatie eine letzte Forderung, bevor man sich auf Zugeständnisse einläßt.
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